Die Stimmen der Vernunft sind sich einig. Natürlich ist die überfallene Ukraine mit Waffen in ihrem Überlebenskampf zu unterstützen. Sie können gar nicht schwer genug sein. Natürlich ist unser Militär jetzt fit zu machen für eine drohende militärische Auseinandersetzung. Klar kostet uns das Milliarden.
Die Vernunft hat fast alle erfasst, sie ist quasi über Nacht über alle gekommen - über ehemalige Pazifisten, radikale Antifaschisten, konservative und neoliberale Marktwirtschaftler, Ökospinner, Anarchisten, politisch Uninteressierte, ihr-Leben-in-Ruhe-leben-Wollende, Friedensbewegte und letztlich auch Sozialdemokraten.
Es gibt keinen anderen Weg. Da ist sie wieder, die Alternativlosigkeit. Wer den allgemeinen Konsens in Frage stellt, ist wieder wahlweise ein weltfremder Utopist oder ein Vaterlandsverräter oder gar ein Meuchelmörder am ukrainischen Brudervolk. Einem Volk, das den meisten noch vor ein paar Wochen am Arsch vorbeigegangen ist, von dem man noch nicht einmal gewusst hat, wo sein Land überhaupt liegt.
Man orientiert sich wieder an den alten Generälen, die sich im Fernsehen die Klinke in die Hand geben. Es herrscht fast ein bisschen Vorkriegsstimmung, fast wie damals 1914.
Jeder, der mahnend seine Stimme erhebt, wird lächerlich, zum Verbrecher an der gerechten Sache oder zum Unterstützer Putins gemacht. Und um dem Gewicht zu geben, werden die Ikonen einer friedlichen Politik, von Willy Brandt bis Mahatma Gandhi, veralbert und in den Schmutz gezogen.
Wer hört die Stimmen der Unvernunft? Wer denkt die Stimmen der Vernunft zu Ende? Was wird die schwerste Waffe sein, die wir liefern? Sind taktische Atomwaffen auch okay? Was tun, wenn die Forderung kommt, nicht mehr nur Waffen, sondern auch Soldaten zu schicken? Sind wir mit all unserer Vernunft bereit, selbst unsere Freiheit mit der Waffe zu verteidigen?
All unser Denken ist inzwischen soweit militarisiert, dass der Schritt dorthin nur noch ein kleiner ist.Und vielleicht bleibt uns ja letztendlich gar nichts anderes mehr übrig.
Bis dahin wünsche ich mir, dass man die Stimmen der Unvernunft einfach mal hört anstatt unerhört einfach nur ihre Stimmgeber zu verteufeln. Vielleicht liegt ja irgendwo ein Ausweg aus dem tödlichen Dilemma verborgen, der sich mit dem vordergründig Vernünftigen nicht finden lassen wird.