Reservierte Mitarbeiter
Reservierte Mitarbeiter

Reservierte Mitarbeiter

Ich werde demnächst einen neuen Führerschein besitzen. Mein alter grauer Lappen wird in eine Karte zwangsumgetauscht. Leider darf ich damit dann nicht mehr die Sattelschlepper fahren, von denen ich immer geträumt habe und für die ich jetzt im Ruhestand Zeit hätte. Ich wäre ja gerne mit Gleichgesinnten auf die Straße gegangen um gegen die Umtausch-Diktatur zu demonstrieren, aber die einen rebellieren noch gegen die Anschnallpflicht und die anderen  sind gerade entweder mit dem Fälschen von Impfnachweisen beschäftigt oder werden gerade zwangsbeatmet.

Also füge ich mich in mein Schicksal und mache mich widerwillig daran, alles für die Beantragung vorzubereiten. Eigentlich habe ich damit gerechnet, dass alles mit ein paar Klicks auf einer dafür präparierten Website erledigt ist. Aber das Kreisverwaltungsreferat will alles in Papierform - Formular, Kopien von Dokumenten und Gebührenüberweisung, biometrisches Foto und eine „Karteikartenabschrift“ vom Landratsamt, bei dem der Führerschein ausgestellt wurde. Letztere soll man mit einem Anruf bei der ausstellenden Behörde ganz einfach beauftragen können. Also alles easy - ich stelle mir schon vor, wie ich dort anrufe und jemand macht sich sogleich daran, mit Tusche und Feder die Karteikarte abzuschreiben.

Also frisch ans Werk. Nummer gewählt, alles bereit gehalten, was womöglich abgefragt wird und dann - da ist das Freizeichen. Was folgt ist eine etwa zehnminütige Ansage mit einer detaillierten Ausführung zu Coronaregeln, dem erwünschten Verhalten bei einem nicht zu vermeidenden Besuch der Behörde, sowie Testmöglichkeiten vor Ort. Dazu eine ebenso detailreiche Anleitung zur Vereinbarung von Terminen, verbunden mit der Lobpreisung des guten alten postalischen Verfahrens. Ein verschämt versteckter Hinweis, dass man auch alles online erledigen könne, lässt mich aufhorchen. All diese Informationen sind sicher recht interessant, bringen mich aber nicht weiter, weil ich ja einfach jemanden brauche, dem ich sagen kann, dass er mit der Abschrift der Karteikarte beginnen kann. Jetzt muss ich noch ein paar mal Ziffern drücken, die mich alle nicht meinem Ziel näher bringen, bis am Ende dieser Prozedur völlig unvermittelt die Anweisung auftaucht „Wenn Sie mit einem Mitarbeiter verbunden werden wollen, drücken Sie die 2!“

Geschafft! Es läutet kurz an und dann folgt eine Ansage, die mich die nächsten 45 Minuten bei der Stange und bei Laune halten wird: „Zur Zeit sind alle Mitarbeiter im Gespräch. Bitte warten sie einen kurzen Moment. Der nächste Mitarbeiter ist für Sie reserviert.“ Das Wörtchen „kurzen“ aufreizend betont. Wobei der Reiz sich im Verlaufe der 45 Minuten von hoffnungsvoll über wütend bis resigniert verändert. Irgendwann hab ich mich gefragt: warum lassen die keine Frauen ans Telefon, wenn die Mitarbeiter schon so beschäftigt sind? 

Nach einer Viertelstunde beschließe ich, dieser ominösen Online-Möglichkeit nachzuspüren. Jetzt ist mein Ehrgeiz geweckt - ich will es geschafft haben, bevor der für mich reservierte Mitarbeiter das Gespräch annimmt. Der Link zum Online-Formular ist schnell gefunden. Der Klick darauf löst den Download einer kryptischen Datei aus. Nichts geht - der Safari-Browser auf dem Mac kann kein Java! Chrome-Browser installiert, nochmal probiert - geht. Jetzt muss ich meinen Personalausweis scannen und eine pdf-Datei bringen. Schnell noch den Acrobat-Reader aktualisiert, den Antrag abgeschlossen und den Ausdruck vorbereitet. Dazu muss ich noch schnell eine Druckerpatrone wechseln und dann ist es geschafft.

Die Telefonverbindung, die ein Gespräch hätte werden sollen beende ich mit meinem rechten Mittelfinger.

Ich packe alle 9 Seiten zusammen, mache mich auf den Weg zum Tabakladen, der auch Schreibwaren und Briefmarken verkauft, stecke alles in den Umschlag und die freundliche Verkäuferin klebt mir die Briefmarken auf den Umschlag. Ohne Warteschleife und Ansagen zu Postgesetz und Gebührenordnung. Noch die Adresse drauf und dann ab in den Briefkasten. Die Adresse „Fahrzeugzulassungs- und Fahrerlaubnisbehörde“ passt gerade noch auf den Umschlag.

Auf dem Heimweg plagt mich das schlechte Gewissen. Irgendwo in den Bürofluchten des Landratsamtes sitzt jetzt der Mitarbeiter, der für mich reserviert ist und wartet auf das Startsignal, die Karteikarte abschreiben zu dürfen. Ob ich nochmal anrufen sollte?

Kommentar verfassen